Regenerative Landwirtschaft

Viele schätzen den Boden vor allem, wenn er asphaltiert ist. Das E-Bike rollt schön, die Schuhe bleiben sauber, der Regen rinnt brav in den Gully. Der asphaltierte Boden benimmt sich gerne wie die Grundlage unserer Zivilisation, er ist der Teppich jeder anständigen Stadt, und weil wir den ganzen Tag auf ihm herumstehen, denken wir kaum über ihn nach. Ausser vielleicht, wir treten in einen Kaugummi.

 

In der Landwirtschaft mögen wir den Boden lieber, wenn er nicht asphaltiert ist. Aber auch wir sehen manchmal nur die Pflanzen, die auf ihm wachsen. Dass sie überhaupt wachsen, wie sie das tun und wie gesund sie sind – das entscheidet sich jedoch immer auch im Boden.

Eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Prozesse, die sich im Boden abspielen, für alles, was zwischen Wurzeln und Bodenlebewesen geschieht – das ist der Schlüssel zur regenerativen Landwirtschaft.

Oft wird der Begriff Regenerative Landwirtschaft genau so, also mit einem grossen R geschrieben. Dies lässt vermuten, es handle sich um ein neues Label. Darum geht es aber nicht. Egal, ob biologisch oder konventionell: Es mehren sich schlicht die Menschen, die verstehen, dass herkömmliche Anbaumethoden den Boden erschöpfen und leerräumen.

 

Verminderung der Bodenbiodiversität heisst das im amtlichen Vokabular. Schwache Pflanzen, schlechte Ernte heisst das auf dem Bauernhof. Und während das Bundesamt für Umwelt im Mai 2020 eine neue Bodenstrategie Schweiz* publiziert hat, mit der diese bedenkliche Entwicklung korrigiert werden soll, investieren wir auf dem Biohof Zaugg derzeit viel Energie, um unsere Böden langfristig fruchtbar zu erhalten.

 

Obwohl es um Pflanzenbau geht, steht die Tierhaltung im Vordergrund: Denn entscheidend für einen gesunden und fruchtbaren Boden ist der bunte Zoo von Tieren, die in ihm hausen. Zu diesen Mikroorganismen zählen Bakterien, Algen und Protozoen, zum Beispiel Sporentierchen, Wimperntierchen, Geisseltierchen und Wurzelfüsser. In einem Teelöffel vitalen Bodens lassen sich locker eine Million von diesen Tieren finden. Die meisten sind kleiner als 0,03 Millimeter und von blossem Auge nicht zu erkennen. Gut zu erkennen sind aber ihre Wirkungen für das Wachstum und die Gesundheit der Pflanzen. Denn diese Tiere – zusammen mit den ebenfalls unverzichtbaren Pilzen und Algen – beteiligen sich an der Huminstoff-Bildung, stabilisieren die Bodenstruktur, mineralisieren organische Stoffe, setzen Nährstoffe frei, fördern die chemische Verwitterung, erschliessen Mineralstoffe, setzen phytoaktive Stoffe frei, vergrössern das Wurzelsystem, bauen Biozide und andere Fremdstoffe ab.

 

Aber bevor wir zu arg in schöne Details abrutschen: Wer die regenerative Landwirtschaft knapp erklären will, der braucht – Agraringenieur Dietmar Näser macht es vor – 200 Buchseiten. In vier Jahrzehnten hat sich der Pflanzenbauberater aus Potsdam eine stupende Erfahrung angeeignet; falls sich diese in einer einzigen Aussage zusammenfassen lässt, dann vielleicht in der folgenden: Wer gesunde Pflanzen will, braucht nicht viel Dünger und schwere Maschinen, sondern einen vitalen Boden.

 

Gerade weil wir in Iffwil viel Gemüse anbauen und den Boden damit intensiv nutzen, sehen wir die regenerative Landwirtschaft als entscheidende Investition in die Zukunft. Und deshalb bringen wir Gründüngungen aus, setzen Pflanzenfermente ein, bringen Komposttee aus, behandeln unseren Kompost mit Effektiven Mikroorganismen, säen möglichst diverse Pflanzengemeinschaften, belassen die Böden möglichst bedeckt. Wir lassen den Pflug schon lange links liegen und investieren viel Zeit in eine Bodenbearbeitung, die lediglich in die obersten paar Zentimeter eingreift – insgesamt aber müssen wir noch Vieles erproben. Der Umgang mit Ernterückständen, mit Zwischenfrüchten und einer deutlich komplexeren Fruchtfolge will geübt und zugeschnitten sein auf unsere ganz spezifischen Bedürfnisse.

 

Regenerative Landwirtschaft, das ist für uns also ein aufwändiges Experiment; wir bauen Maschinen um, passen Fruchtfolgen an, probieren Untersaaten aus, müssen uns den Umgang mit Beikräutern neu überlegen, und statt einer zweiten Staffel Salate ernten wir eben manchmal eine Gründüngung. Das bringt uns grundsätzlich einen grösseren Aufwand bei einem geringeren Ertrag – bei all dem haben wir aber im Blick, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Eine Landwirtschaft, die re-generativ ist – die also lebendig und fruchtbar bleibt für künftige Generationen.

 

Text geschrieben von Urs Mannhart, Schriftsteller

 

* Zitat aus dem Bericht Bodenstrategie Schweiz 2020, herausgegeben vom Bundesrat, erarbeitet vom Bundesamt für Umwelt, dem Bundesamt für Landwirtschaft und dem Bundesamt für Raumentwicklung:

«Die Intensivierung der Landwirtschaft verursacht einen Rückgang der biologischen Vielfalt und der Aktivität der Lebewesen im Boden und führt somit zu einer Abnahme der Lebensraumfunktion. Dies kann in der Folge zu einer Verringerung der anderen ökologischen Bodenfunktionen, der Produktions- und Regulierungsfunktion führen (Wasserhaushalt, Umsatz organischer Substanzen). Verschiedene aktuelle Studien weisen einen Zusammenhang zwischen intensiver landwirtschaftlicher Bewirtschaftung und der Verringerung der biologischen Aktivität im Boden nach (...)

In den vergangenen 50 Jahren hat die Intensivierung der Landwirtschaft massive Ertragssteigerungen erlaubt. Diese Entwicklung wurde im Wesentlichen durch die Industrialisierung und Mechanisierung der Landwirtschaft unter dem Einsatz von grossen Mengen an landwirtschaftlichen Hilfsstoffen ermöglicht, mit dem Ergebnis, dass die Bodenlebewesen beeinträchtigt wurden. Bislang hat dieser Rückgang der Bodenbiodiversität und -aktivität noch keine verringerten Ernteerträge zur Folge gehabt, weil Beeinträchtigungen der Produktionsfunktion von Böden durch die Zugabe von Düngemitteln und Pestiziden kompensiert werden konnten. Wenn die biologische Aktivität in den Böden nicht aufrechterhalten oder wiederhergestellt werden kann, sind Beeinträchtigungen von Bodenfunktionen zu erwarten, die sich künftig auch in Rückgängen bei den landwirtschaftlichen Erträgen niederschlagen können.